Die Angst vor den Maschinen – Berechtigt oder doch nur ein Hirngespinst

17. Dezember 2024
Karikatur "Locomotion" (1835) von Robert Seymour (Quelle: Dominik Joss, Skript Industrialisierung (2023/24))

Im Deutschunterricht haben wir uns mit dem Klassiker «Der Sandmann» von E.T.A. Hoffmann befasst. Im Sandmann geht es um den verlobten Studenten Nathanael, der seine klare Wahrnehmung verliert, und sich deshalb in den Automaten Olimpia verliebt. Als Nathanael erkennt, dass Olimpia eine Maschine ist, verliert er den Verstand. Danach wird im Volk die Angst, dass die eigene Frau ebenfalls ein Automat ist, bei vielen Männern entfacht. Im Unterricht erarbeiteten wir uns die Motive und Aussagen des Stücks. Eine davon, die Angst vor technologischem Fortschritt, will ich nun genauer betrachten. Wir taten dies mit der Absicht, nicht nur das Werk selbst zu verstehen, aber vor allem um die richtige Herangehensweise und Methodik beim Verarbeiten von literarischen Texten zu lernen. Wir beschäftigten uns aber nicht nur mit dem «Sandmann», sondern betrachteten das Werk im Kontext der Romantik, die wir als literarische Epoche untersuchten. Die Romantik ist eine von ca. 1795 bis 1840 dauernde Zeitspanne, welche als Gegenbewegung zur Aufklärung wirkte. Die Romantik ist ein Konstrukt, das davon ausgeht, dass man nicht alles erklären und begründen kann, sondern, dass es fantastische und unerklärliche Dinge gibt, wie die Seele oder Gott. Eine weitere Annahme der Romantiker ist es, dass der Mensch kein rationales Wesen ist, sondern dass er von Emotionen und Trieben geleitet wird. Diese antiaufklärerischen Werte findet man auch im Sandmann von E.T.A. Hoffmann wieder, unter anderem in der Angst vor dem technologischen Fortschritt. Auch das Gewinnen des Verständnisses über die Romantik taten wir mit dem lernmethodischen Ziel, die Herangehensweise an Literaturepochen zu verstehen.  


Früher, Sandmann & Heute

Durch den aufkommenden Technologieeinsatz in der Wirtschaft gab es schon während der Industrialisierung (1790 bis 1860) Kritik am schnellen Technologiewachstum. Es bestand die Angst, dass Maschinen die Arbeitskräfte ersetzen würden. So gab es Gegenbewegungen, die den Technologiefortschritt bremsen und eindämmen wollten. Bei Gebildeten und Politikern wurde schon damals die Angst laut, dass die Automaten und Maschinen ausser Kontrolle geraten könnten. Diese Angst wurde auch in unserem Geschichtsunterricht thematisiert. Insbesondere die Karikatur «Locomotion», in welcher die neuen Technologien die Menschen komplett überfordern, ist ein gutes Beispiel des Menschens Furcht vor den Maschinen.  

Doch wo sehen wir diese Furcht vor den Maschinen im Sandmann? Nach Olimpias Ende - hierbei ist es natürlich schwierig von Tod zu sprechen - und dem Enttarnen des Spalanzanis als Betrüger, wird erklärt, welche Folgen diese Liebe hatte. Männer wurden fast schon paranoid, und liessen Frauen «menschliche» Dinge tun, um sich als Frau zu beweisen. «…, dass die Geliebte etwas taktlos singe und tanze, dass sie beim Vorlesen stricke, stricke, mit dem Möpschen spiele usw.» (Sandmann, S.47).  Alles Dinge, die Olimpia nicht tat, und an denen Nathanael unter anderem Gefallen fand. So sieht man deutlich, dass Hoffmann mit dem Sandmann auch einen gewissen Respekt vor den neuen Technologien vermitteln wollte.  

Und mehr als zwei Jahrhunderte später finden wir diese Angst vor technologischem Fortschritt immer noch. Jedoch in einer neuen Form, in Form von Künstlicher Intelligenz. Die Angst vor der KI ist präsent, trotzdem ist die Forschung unermüdlich daran, die KI weiterzuentwickeln. Auch in der modernen Filmkultur gibt es unzählige Werke wie Blade Runner oder die Terminator-Reihe, welche vor einer Übernahme der Maschinen, mittlerweile Robotern, warnen. Interessant ist, dass das Haupterkennungsmerkmal eines Menschens im Sandmann, «…, in der Art sprechen, dass dies Sprechen wirklich ein Denken und Empfinden voraussetze» (Sandmann, S. 47), heute nicht mehr ausreicht. KI wie ChatGPT ist problemlos in der Lage, Gespräche zu führen, die zumindest ein Denken vortäuschen. Doch sind wir mit KI schon an dem Punkt angelangt, an welchem auch Automaten fähig sind, Emotionen auszudrücken? Um diese Frage zu beantworten, will ich auf einen weiteren Diskussionspunkt im Deutschunterricht zu sprechen kommen. Es stand die Frage im Raum, ob KI selber Gedichte erstellen könnte. Wir kamen zum allgemeinen Entschluss, dass KI die formalen Merkmale eines Gedichtes erfühlen kann, es aber nicht schafft, selber Stimmungen und Emotionen auszudrücken – da KI dazu nicht fähig ist. Doch warum eigentlich nicht? Des Menschens Emotionen sind ebenso nur elektrische Signale, die von Synapsen verarbeitet werden. Der gesamte Aufbau und die Funktionsfähigkeit einer KI liegt in der Programmierung. Diese könnte auch geändert werden. Und solange wir die Programmierung kontrollieren, kontrollieren wir die Automaten. Also sollte es keinen Grund zur Sorge geben, oder?  

Nein. Denn die ursprüngliche und von vielen als primitive Sorge ist nun eingetroffen. Die Automaten kontrollieren uns nicht, jedoch übernehmen sie langsam, aber sicher unsere Arbeit. Sie übernehmen nicht nur unsere Arbeit, sondern vor allem unsere Freuden, Kunst, Musik und auch Lyrik zu perfektionieren. Ich will mit diesem Text nicht den Untergang der menschlichen Rasse verkünden, jedoch ebenfalls eine Warnung vermitteln, unser Wissen und Fähigkeiten nicht den Automaten abzugeben.